von Rainer Molzahn
Das aus meiner Sicht herausragende, geradezu historische Weltereignis im Juni war die Verkündigung der Enzyklika ‚Laudato Si‘ ‘
von Papst Franziskus am 18. Juni in Rom.
Sie wird, das ist meine Einschätzung und Hoffnung, die weltweite Diskussion beeinflussen, die wir führen müssen, wenn es um die Zukunft unseres Planeten und unseren Platz und unsere Rolle darin geht.
Die Arbeitsgruppe
Schon die Gruppe von Leuten, die die zweite Enzyklika dieses Papstes der Weltöffentlichkeit präsentierte (die erste war die Fertigstellung eines ‚Rundbriefes‘ seines Vorgängers) war bemerkenswert: der ghanaische Kardinal Peter Turkson, der orthodoxe Metropolit Ioannis Zizioulas, der Potsdamer Klimafolgen-Forscher Joachim Schellnhuber sowie Carolyn Woo, Präsidentin der Catholic Relief Services.
Die Ältestenschaft des Papstes
Bemerkenswert deswegen, weil diese quasi ökumenische Zusammensetzung demselben Geist verpflichtet ist, der dem gesamten Wirken des Papstes innewohnt, und spezifisch auch seiner Haltung zu den epochalen Herausforderungen, die sich aus den mittlerweile unleugbaren Veränderungen unserer Biosphäre ergeben: Franziskus spricht zu allen von uns, er stützt sich auf so viel Expertise und Diversität wie möglich (Schellnhuber z.B. ist Atheist), und hauptsächlich will er die Stimme und der Anwalt der Ärmsten und am meisten Benachteiligten sein (die natürlich am wenigsten für die Klimaveränderungen können und als Erste unter ihnen leiden). Und er schreckt vor den politischen Implikationen nicht zurück, die eine solche Anwaltschaft mit sich bringt.
Die Enzyklika
Die Enzyklika selbst (Download unten) beeindruckt dadurch, dass sie nicht nur von moralischem Engagement und spiritueller Tiefe getragen ist, sondern auch von solidem und sehr detailliertem ökologischen und politischem Sachverstand. Man spürt auf jeder der 192 Seiten, wie viel Hingabe und Sorgfalt da hineingeflossen sind.
Einige der Hauptaussagen:
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Die aktuelle Lebensweise der Menschheit ist selbstmörderisch.
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Die Erde entwickelt sich zu einer unermesslichen Mülldeponie.
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Die globale Erwärmung ist das dringlichste Problem. Treibhausgase müssen drastisch reduziert, fossile Energieträger dürfen nicht mehr verwendet werden. Dazu
gilt es, politische Programme zu entwickeln.
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Der Rhythmus des Konsums hat die Kapazität des Planeten derartig überschritten, dass der gegenwärtige Lebensstil nur in Katastrophen enden kann.
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Der Zugang zu sauberem Trinkwasser ist ein universales Menschenrecht, dass nicht durch Profitstreben eingeschränkt werden darf.
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Die Dominanz der Finanzwirtschaft über die Politik verhindert einen wirksamen Umweltschutz.
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Der Reichtum in den reichen Staaten verursacht unmittelbar die Armut in den armen Ländern.
Und so weiter. Luftqualität, Artensterben, Entwaldung …
Die Resonanzen
Mir ging es beim Studieren der Enzyklika so, dass ich immer wieder nachhaltig nicken musste: endlich, endlich spricht einer der wichtigsten Führer der Welt diese Dinge mal so klar, zusammenhängend und öffentlich aus! Und dann noch der Papst in Rom, das Oberhaupt von 1,2 Milliarden Menschen! Ähnlich reagierten viele besorgte und engagierte Menschen weltweit.
Aber es gab natürlich nicht nur Applaus. Noch vor der Veröffentlichung hatten Lobbyisten (ich wüsste zu gerne, wer genau das war) versucht, auf Formulierungen in der Enzyklika Einfluss zu nehmen.
Danach regnete es natürlich von den üblichen Verdächtigen wohldosierte Häme und Herablassung, namentlich aus dem Kreis der republikanischen Präsidentschaftsbewerber in den USA. Ich will den Kram
hier gar nicht zitieren, nichts davon beinhaltete Substanz oder auch nur Intelligenz. Bei allen positiven oder negativen Stellungnahmen ging es aber immer irgendwie um die Begriffe Umweltschutz
und Wirtschaftspolitik – das eine oder das andere, das eine und das andere, statt des anderen, auf Kosten des anderen und so weiter.
Der Paradigmenwechsel
Die Diskussion auf dieser Ebene verfehlt jedoch das Tiefste und Radikalste an der Botschaft des Pontifex an uns alle: Franziskus definiert in seiner Enzyklika das Beziehungsparadigma zwischen Mensch und Erde neu.
Anhand der Bibel weist er darauf hin, dass wir Menschen nicht aufgerufen sind, uns die Erde untertan zu machen. Diese Haltung führt uns mit der Erde in die Katastrophe. Unsere Rolle ist es, sie zu hüten und ihr zu dienen. Und das heißt: wir müssen ganz dringend unsere Lebensweise ändern.
Der zum besinnungslosen Konsumismus degenerierte „prometheische Anthropozentrismus“ ist am Ende. Wir in den sogenannten entwickelten Ländern müssen verzichten, damit der Rest der Menschheit leben kann. Das hat in solcher Klarheit noch kein Vertreter unseres kulturellen Mainstreams gesagt, wahrscheinlich seit Jahrhunderten nicht.
Und das ist der Paradigmenwechsel.
Die Dynamik
Das alles hat brisante politische Dimensionen, ganz klar. Eine ganz kleine Andeutung davon, welche Dynamik sich auch innerhalb unseres privilegierten kulturellen Heimatraumes entwickeln kann, gab es letztens in Kalifornien.
Kalifornien erlebt ja in diesen Monaten die verheerendste Dürre seit Menschengedenken. Die Behörden mussten den Wasserverbrauch teilweise regulieren und rationieren, und das ist für alle Amerikaner schwer zu schlucken. Den Vogel aber schoss ein Mann namens Steve Yuhas ab, ein konservativer Talkshow-Host, der sich in einem Blogpost vehement gegen eine Begrenzung der Wasserversorgung in seiner Wohngegend wandte: „Wir bezahlen hier eine beträchtliche Grundstückssteuer. Wir sind eben nicht alle gleich, wenn es um Wasser geht!“ ... zum Artikel.
Klassenkampf um unbegrenzte Verschwendung von Wasser, reich gegen nicht so reich.
Die Folgen
Der Papst hat die Enzyklika mit Bedacht jetzt im Juni veröffentlicht. Sie ist Auftakt und Teil einer Reihe von abgestimmten Aktivitäten, die unter anderem ein Symposium im Vatikan zum Zusammenhang von Klimaveränderung und Formen moderner Sklaverei, einen Auftritt vor den UN in New York (im amerikanischen Wahlkampf und vor dem Klima-Gipfel in Paris) und vieles weitere umfasst.
Vor ein paar Tagen las ich, dass Franziskus für die Konferenz in Rom die kanadische Autorin und Aktivistin Naomi Klein gewinnen konnte, um gemeinsam mit Kardinal Turkson die Veranstaltung zu moderieren. Sie sei „überrascht, aber entzückt“ über die Einladung, sagte Naomi. Ich auch, denn sie steht für den Standpunkt, dass Ökonomie und Ökologie nicht zu trennen sind.
Und deswegen, mal ganz privat:
Lieber Gott, wenn es Dich denn gibt (und auch, wenn nicht): danke für diesen Papst!
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