von Peggy Kammer
Eigentlich war ich ja auf Krawall gebürstet.
Wollte verbal in die Schlacht ziehen gegen die massigen Ungleichheiten, gegen die Gefahren und Benachteiligungen von Frauen allüberall auf der Welt.
Und wer hätte mir widersprechen wollen?
In einer Mischung aus Kampfgeist, Parolen und Zynismus, gepudert mit ein paar Anekdoten über die bekloppten AfDler beim Paritätsgesetz oder andere unmögliche Personen und Haltungen, wäre ich mit einer moralischen Überlegenheit durch das "Thema Frauen" gesegelt.
Wer hätte mir widersprechen wollen?
Und während das alles wahr ist, all die himmelschreienden Ungleichheiten und patriarchalen Strukturen, während es selbstverständlich darum geht, all das anzuprangern und sich (mich!) zu engagieren, während es um kraftvolle Stimmen und Taten geht für eine Gleichwürdigkeit und Gleichberechtigung aller Wesen ... also während dies alles so ist, wollte ich mich doch nicht mit den oberflächlichen Selbstsverständlichkeiten davonkommen lassen.
Im Kern geht es doch um Unterdrückung, um Macht, um eine Marginalisierung, ein Nicht-Ernst-Nehmen von etwas, was als fremd und nicht erstrebenswert bewertet wird. Und dies hat eine politische Dimension, aber auch eine psychologische.
Wenn Leistung, Erfolg und Perfektion erstrebenswert sind, weil dies die gesellschaftliche Anerkennung garantiert, wird ein Individuum alles als nichtig und falsch und fremd deklarieren, was dem nicht entspricht oder gar entgegensteht. Wenn Stärke und Härte dominieren, hat das Schwache, Weiche und Zarte keine Chance. Am Panzer der Identifikationen prallt alles ab, was nicht dazugehört, nicht dazugehören soll.
Wenn Wachstum, Schnelligkeit und Ergebnisorientierung die Gebote der Stunde sind, werden alle Stimmen zum Schweigen gebracht, die für ein Bewahren, Verlangsamen und Innehalten eintreten. Wenn das Funktionieren von Dingen, Abläufen und Menschen ein Dogma unserer Zeit ist, werden alle Fragen und Unsicherheiten als unpassende Störungen gebrandmarkt. Am "So-läuft-es-nun-mal"-Panzer zerschellt alles, was nicht dazu passt.
Und dann verkümmern wir - als Individuen und als Gesellschaft.
Es gibt eine Waffe, die den Panzer durchdringen kann,
die ihn Stück für Stück erodiert.
Sie ist weich und zart und salzig.
Die Träne.
Der Panzer rostet und fällt irgendwann ab.
* * * * *
Tränen werden umso kraftvoller, je mehr wir sie miteinander weinen.
Sie sind ein Ausdruck von Hoffnung: Es kann anders sein.
Wir können anders sein. Das Leben kann anders sein.
Vor ein paar Tagen hatten Friede, Julian und ich ein bewegendes virtuelles Date. Wir haben zusammen geweint und das war so zart und so kraftvoll. (Ich danke euch beiden von Herzen!)
Und Friede las uns ein Gedicht vor, das offenbar sehr geduldig genau auf diesen Moment gewartet hatte:
Brenne
Nein, still bist du nicht hübscher.
Du bist wunderschön, wenn du kämpfst,
wenn du für das Deine kämpfst,
wenn du nicht die Klappe hältst
und deine Worte beißen,
wenn du deinen Mund öffnest
und alles um dich herum Feuer fängt.
Nein, still bist du nicht hübscher,
sondern nur etwas mehr tot,
und wenn ich etwas über dich weiß,
ist es, dass ich noch nie jemanden
gesehen habe,
jemand,
mit so viel Lust zu leben.
Schreiend
Miguel Gane
(entdeckt in: "Was wir Frauen wollen" von Isabel Allende)
* * * * *
Das Da-sein-Lassen der Verletzlichkeit, das Noch-nicht-Wissen von Lösungen, das Immer-wieder-halten-Können von Widersprüchen, das alles-Leben-Umarmende sind sehr weibliche Qualitäten, die alle Menschen, unabhängig vom biologischen Geschlecht, entwickeln können.
Wer will mir da widersprechen?
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